Montag, 18. Oktober 2010

50 Millionen Tonnen Stammzellen - etwas viel

Vor ein paar Tagen hörte ich einen interessanten Beitrag im Radio über Krebszellen, die einer Frau vor etwa sechzig Jahren entnommen wurden und seitdem weiter wachsen. Man hat sie damals nicht gefragt, und mit Hilfe dieser Zellen wurden Mittel gegen Kinderlähmung entwickelt, zur Forschung wurden sie bei unzähligen anderen Krankheiten eingesetzt. Nun kam eine Zahl: alle gezüchteten Zellen hätten ein Gesamtgewicht von 50 Millionen Tonnen.

Ich bin mathematisch ziemlich schwach auf den Beinen, aber ich versuche schon, Größenordnungen zu erfassen, und es ärgert mich, wenn dafür andauernd unpassende Einheiten gewählt werden. Wenn z.B. bei Ölkatastrophen andauernd von Litern geredet wird, dann bläht das die Zahl zur Beschreibung der Gesamtmenge unnötig auf, ohne daß die Menge dadurch leichter vorstellbar wird. Tonnen oder Kubikmeter wären hier besser geeignet.

Da ich mir nicht sicher war, ob ich die Zahl richtig verstanden hatte, setzte ich mich kurz an den Rechner und googelte etwas herum. Bald fand ich heraus, daß der Beitrag eine Buchvorstellung gewesen war, es ging um "Die Unsterblichkeit der Henriette Lacks" von Rebecca Skloot. In der verlinkten Rezension kommt die Zahl noch einmal vor, ich nehme also an, daß sie aus dem Buch stammt.

Nun handelt es sich bei diesen Zellen um Laborbedarf, nicht um Rohöl oder Kies, was in Tankern, Güterzügen oder LKWs transportiert wird. Aber wenn diese Zellen doch so wichtig sind und in ganz vielen Labors benutzt werden, dann braucht man vielleicht doch ziemlich viel davon. Nun, um es kurz zu machen und nicht jeden gedanklichen Zwischenschritt hier zu verwursten:

Es handelt sich um menschliches Gewebe, also um Fleisch. Fleisch ist schwerer als Wasser, ein Schnitzel schwimmt nicht, Knochen ist , glaube ich, leichter, Haare auch, aber für die kurze Überschlagsrechnung kann man die Dichte dieser Körperzellen gleich der von Wasser setzen. 50 Mio. Tonnen dieser Zellen entsprechen also 50 Mio. Kubikmetern Wasser. Wer da gerade schwächelt (jaja, so manches Personal aus einem Lehrerzimmer gerät jetzt schon ins Schwimmen, nicht nur beim Durchschnitterrechnen), ein Kubikmeter ist ein Würfel mit einem Meter Kantenlänge. Und der wiegt eine Tonne. Wenn ich diese Würfel alle aneinanderhänge, kommt eine Schlange von 50.000 Kilometern dabei heraus. Der Umfang der Erde beträgt etwa 40.000 Kilometer. Entspricht ja auch dem, was als weitere Erläuterung in dem Artikel steht: "Aneinandergereiht würden sie die Erde dreimal umspannen." Hätte da nicht etwas auffallen müssen? Kurz bei Wikipedia nachgeschaut: Menschliche Körperzellen sind zwischen 1 und 30 Mikrometer groß (ein Mikrometer ist ein Tausendstel Millimeter). Die weibliche Eizelle ist die größe Zelle mit bis zu 140 Mikrometern Durchmesser, sie ist so gerade noch mit dem Auge zu erkennen. Der Durchmesser eines Haares liegt im Mittel bei 70 Mikrometer. Mit meiner Rechnung kommt ich also auf einen dicken Ring, der die Erde dazu noch in einiger Höhe umrunden könnte, während der Autor des Artikels auf dreimal um die Erde kommt, allerdings in Form von drei hauchdünnen Fasern.

Aber um es noch klarer zu machen, und auch um meine eigene Denkschwäche nicht zu verschweigen: 50 Mio. Tonnen Körpergewebe entsprechen grob gerechnet 500 Mio. Menschen, die man daraus formen könnte, und zwar großen Menschen von 100 Kilogramm Gewicht. Ziemlich viele. 50 Mio. Tonnen, verteilt auf 60 Jahre, sind 830000 Tonnen pro Jahr. Jetzt verladen wir diese Menge mal auf LKW, von denen jeder 20 Tonnen Zuladung hat. 41500 LKW-Ladungen. An wieviele Labore weltweit soll das verteilt werden? Und jetzt verteilen wir eine LKW-Ladung in einem Labor auf Petri-Schalen und Objektträger, um sie unter Mikroskope zu legen. In einem Artikel steht: "Der Mediziner Christopher Lengauer öffnet ... einen seiner Gefrierschränke, wo HeLa in Tausenden zentimetergroßen Kunststoffgefäßen voller roter Flüssigkeit bei minus 80 Grad lagert." Ein Kubikmeter hat eine Million Kubikzentimeter, wie groß muß also ein Gebäude sein, um ...

Also, wer mit Hela-Zellen zu tun hat oder mit sonstigem Laborbedarf, der kann ja mal meine Zahlen auf Plausibilität überprüfen. Wäre natürlich peinlich, wenn ich der Depp wäre.

Was mir permanent passiert: Während ich schreibe, kommen mir neue Ideen und ich stöbere im Internet nach weiteren Fundstellen und Belegen. Und da finde ich die Seite einer Henrietta-Lacks-Stiftung, auf der diese Zahl erwähnt wird. Es wird sogar erwähnt, daß dies dem Gewicht von mehreren Empire-State-Buildings entspricht. Ich weiß nicht, was ein Empire-State-Building wiegt. Da ist zwar viel Stahl und Beton drin, aber auch viel Luft. Wenn ich meine 50 Mio. Zellen in die 50 Mio. Kubikmeter umrechne und daraus einen Würfel baue, dann komme ich auf eine Kantenlänge von etwa 340 Metern (dritte Wurzel aus 50000000). gegen diesen Würfel könnten sogar die Pyramiden einpacken (es sei denn, die Gizeh-P. hat einen bisher unentdeckten geräumigen Keller).

So, jetzt mach ich aber Schluß. Über die ganzen empörten Menschen, die finden, daß man Henrietta Lacks ein Denkmal errichten sollte, weil diese Zellen von ihr stammen, schreibe ich demnächst.

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