Dienstag, 3. Januar 2012

Der Mann mit der Schreckschuß-Pistole

Neulich bei Don Vito Corleone im Büro:

Die Tür wird aufgerissen, hinein stürmt ein dünnes Männlein und fuchtelt mit einer Waffe herum. So ginge das nicht weiter, brüllt er, was Don Vito da vorhabe, das ginge nicht, wenn er so weitermache, werde er die Zusammenarbeit einstellen, da sei der Rubikon überschritten, und er werde die Angestellten seines Ladens auf ihn hetzen, und Don Vito werde schon sehen, was er davon habe.

Mitten in seiner Aufregung bemerkt das Männlein, daß Don Vito gar nicht da ist, sondern nur die Sekretärin. Die Sekretärin sagt, daß sie alles ausrichten werde. Wortlos verzieht sich das Männlein. Als Don Vito zurückkommt, sagt ihm die Sekretärin, daß Herr W. da gewesen ist. Der Mann habe einen Spielzeugrevolver dabei gehabt, was sie sofort erkannt habe. Ah ja, denkt Don Vito, einer dieser kleinen Geschäftsleute, die er  immer ausnimmt, die sich aber stolz mit ihm fotografieren lassen, was auch Don Vito gut gefällt, weil es ihn ehrenwert aussehen läßt. Don Vito ist sichtlich amüsiert, ob Spielzeugrevolver oder nicht, Waffen machen ihm keine Angst. Er überlegt sich, wie er diesem Männlein zeigen kann, daß es so nicht läuft. Don Vito hat eine Idee. Eine Woche später ruft er zwei Freunde in Frankfurt und München an, die zwar nicht so groß wie Don Vito sind, aber dafür als ehrbarer gelten. Die glucksen vor Freude, hauen sich auf die Schenkel und  denken sich: "Von dem will ich auch mal bedroht werden". Eigentlich mögen sie Don Vito nicht, aber die Geschichte ist einfach zu gut, als daß sie die für sich behalten können. Nicht bei dem Männlein, daß sich schon seit einem Monat um Kopf und Kragen redet.

Dieses Bild (Don Vito Corleone und irgendein kleiner Ladenbesitzer, der sich ihm ausgeliefert hat) habe ich vor Augen, wenn ich davon lese, daß Bundespräsident Christian Wulff die Macht seines Amtes nutzen wollte, um unliebsame Berichterstattung über ihn und seine Familie zu unterdrücken. Das hat er vielleicht vorgehabt, und das ist schon peinlich, aber glaubt irgendjemand, daß Kai Diekmann sich davon beeindrucken ließ, auch nur für eine Sekunde? Diekmann wird sofort erkannt haben, daß Wulff ihm nicht drohen kann, und selbst wenn: einen Raufbold wird man kaum mit der Aussicht auf eine Prügelei einschüchtern. Den schüchtert nicht die Auseinandersetzung, sondern die Gefahr einer klaren Niederlage ein. Kai Diekmann kann einschätzen, wie stark ein Gegner ist und welche Freunde er hat.

Wie sieht das ein Richter, wenn ein mittelgroßer Mann ohne Vorstrafen einem stadtbekannten und erfahrenen Schläger mit einer Spielzeugwaffe entgegentritt? Die Waffe wurde zu Unrecht gezogen, aber für das "Opfer" ist sofort erkennbar, daß es keine echte Waffe ist. Wurde der Schläger also nun bedroht oder nicht? Der Skandal liegt doch nicht im Drohen mit dem Schreckschußrevolver, sondern darin, daß jemand sich die ganze Zeit vorher schon immer mit dem Schläger getroffen hat und sich von dem bestätigen ließ, wie toll er doch ist.

Edit: Habe Frankfurt und München hinzugefügt, damit die "Freunde" klarer werden.