Heute Mittag habe ich mir etwas besonderes gegönnt und mal wieder Phönix geschaut, die aktuelle Stunde zum Fall "Guttenberg". Ich konnte nicht so konzentriert zuschauen, weil noch zwei Kinder hier herumwuselten (okay, nur ein Kind - der Achtjährige saß auf dem Sofa und rief Zwischenkommentare wie "Warum hast Du es dann nicht geschrieben?"). Außerdem kam mir meine Ungeduld und mein Hang zum Fremdschämen dazwischen. Fremdschämen wegen Herrn Guttenberg, der sich ein ums andere Mal entschuldigte, ohne den Umfang und die Art seines Fehlers erkennen zu wollen. Ungeduld wegen der Abgeordneten, die umständlich ihre Fragen formulierten, keinen Biß zeigten, und in kurzer Zeit ihre Fragen nicht umstellen konnten, wenn ein anderer Abgeordneter schon etwas ähnliches gefragt hatte.
Zu erkennen war, daß KTG sichtlich getroffen war und allmählich merkte, in welchen Schlamassel er sich gebracht hatte, wie gesagt aber ohne zu erkennen oder zuzugeben, daß der Fehler kein Versehen gewesen sein konnte. Er hatte wenig hochfahrendes oder arrogantes an sich (oder er ist der beste Schauspieler seit Marlon Brando und Jack Nicholson). Als ich ihn so sah, fragte ich mich, warum keiner schnell eine Strategie entwicklte, Guttenberg auf die verständliche Tour entgegenzukommen und auf die Versuche, Guttenbergs, sich wie ein kleiner Junge zu entschuldigen und um Verständnis angesichts der schwierigen Situation - junger Familienvater, Abgeordnetenamt, spät abends am Schreibtisch - einzugehen. Wenn ein väterlicher Abgeordneter gekommen wäre und gesagt hätte: "Ja, Herr zu Guttenberg, es war vielleicht ein bißchen viel, was sie sich da vorgenommen hatten. Dazu die strengen Maßstäbe des Vaters und auch des Großvaters, die Familientraditionmit einer langen Reihe vortrefflicher Vorfahren, die großes geleistet haben, und die sich daraus ergebenden hohen Ansprüche an Sie, und auch der eigene Wunsch, durch den Doktortitel den Makel des Halbjuristen von sich zu waschen, der zeitraubende Job des Abgeordneten in ihrem Wahlkreis, in dem ihnen die Zuneigung der Menschen entgegenfliegt, und der Wunsch, die lange schon andauernde Arbeit, sieben Jahre sagten sie, endlich abzuschließen, und diesen Berg an Papieren auf ihrem Schreibtisch nun ein für allemal zu den Akten legen zu können, das kann ich gut nachvollziehen." Kurze Pause - und dann: "Es ist eine große Bürde." Wahrscheinlich hätte KTG für zehn Minuten nicht antworten können, weil ihm ein dicker Kloß im Hals gesessen hätte.
Danach Auftritt Jürgen Trittin.
Eigentlich sollte das als Kontrapunkt schon reichen, aber als Idee könnte man reinreiben, daß man überhaupt kein Verständnis aufbringen müsse für das selbstverschuldete Unglück eines eitlen Menschen, der vielleicht viel Arbeit, aber gewiß keine finanziellen Nöte während der Dissertation hatte, und sich auch im Falle eines Mißerfolgs keine Sorgen um die berufliche Zukunft zu machen brauchte. Wer wie Guttenberg permanent darauf hinweist, wie schmerzlich ihn der Verlust des Doktortitels trifft, der müßte doch auch wissen, daß das damit verbundene Renommee durch die damit verbundene Anstrengung und die intellektuelle Leistung herkommt.
Naja, vielleicht kam das später.
Es gibt mehr als einen Grund, warum ich nicht Politiker oder sonstwie erfolgreich bin, aber angesichts der Möglichkeiten, sich zu informieren und Mitarbeiter darauf anzusetzen, ein Drehbuch für so eine Fragestunde zu entwickeln, frage ich mich, warum so wenig Druck auf zu Guttenberg aufgebaut wurde. Von den Fragen, die ich gehört habe, hat keine ihn wirklich in den Würgegriff genommen. Auch renommierte Zeitungen stellen jetzt schon ohne Zweifel fest, daß zu Guttenberg sich ein Fehlverhalten zu Schulden kommen ließ, das nicht mit Versehen oder Schludrigkeit zu erklären ist. [1] Trotzdem halte ich es für vollkommen kontraproduktiv, wenn Sigmar Gabriel zu Guttenberg mit Silvio Berlusconi vergleicht. Das ist schon ein erheblicher Klassenunterschied im Fehlverhalten, in vielerlei Hinsicht. Wie SPIEGEL ONLINE schreibt, attackierte Unions-Fraktionsvize Andreas Schockenhoff Gabriel dafür: "Das ist infam, das ist unanständig, und das ist unter der Gürtellinie". Durch solche überzogenen Angriffe werden nur die Reihen der Guttenberg-Anhänger geschlossen, die ihren Minister und ihre Lichtgestalt gerne behalten wollen.
Einen Angriffspunkt hat nach meinem Wissen kein Abgeordneter genutzt. Guttenbergs Arbeit wurde "summa cum laude", also mit einem Sehr Gut bewertet. Guttenberg selbst hat aber gesagt, daß er Blödsinn geschrieben hat. Das paßt doch nicht zusammen. Nach meinem Wissen sind Jura-Professoren sehr sparsam mit Spitzennoten. Wer ein "Gut" bekommt, kann schon sehr stolz auf sich sein, und mit einem "Sehr Gut" stehen einem alle Karrierewege offen. Auch die Einkommensunterschiede zwischen den besten Juristen und dem Durchschnitt sind sehr groß. Hatte zu Guttenberg da kein komisches Gefühl, als er von seiner Note erfuhr?
Die Note wirft aber auch ein seltsames Licht auf seinen Doktorvater, der zu Guttenberg angeblich während der ganzen Zeit gut betreut hat. Ist ihm beim Lesen der Arbeit nichts aufgefallen, was den wechselnden Schreibstil angeht? Eine Arbeit, die aus so vielen verschiedenen, unüberarbeiteten Teilen zusammenkopiert wurde, muß doch seltsam zu lesen sein. Oder hängt die gute Note des Ministers mit den großen Spenden zusammen, die die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät von der Rhön-Klinikum AG erhält, an der die Familienstiftung der zu Guttenbergs etwa ein Viertel der Aktien hält? Ich bin überrascht, von diesen Spenden bisher noch nicht an anderer Stelle gelesen zu haben.
Schalten Sie bald wieder ein, wenn ich ein klein bißchen auf die schönen Sprüche eingehe, die Herr zu Guttenberg auf seiner Homepage bereithält.
[1]Z.B. FAZ und ZEIT
http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~EFD4E1E1A128C4A388760CEE978C4A7A1~ATpl~Ecommon~Scontent.html
http://www.zeit.de/studium/hochschule/2011-02/kommentar-guttenberg-plagiat?page=all
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